Echenoz, Unsere Frau in Pjöngjang

Jean Echenoz, Unsere Frau in Pjöngjang (2017)
In seinem neuen Roman, der von Hinrich Schmidt-Henkel ins Deutsche übersetzt wurde, spielt der französische Autor Jean Echenoz, geboren 1947, mit dem Genre des Agentenromans.

General Bourgeaud, achtundsechzig und „spezialisiert auf die Ein- und Ausschleusung sensibler Personen zu nachrichtendienstlichen Zwecken“, will noch einmal zeigen, was er kann. Und die Zeit vertreiben muss er sich ja auch irgendwie.

Also fasst er einen neuen Plan. Dieses Mal soll es nichts weniger als die Destabilisierung Nordkoreas sein. Für diese Operation sucht er mit seinem Offizier Paul Objat eine völlig unbescholtene Frau, die er als Agentin nach Pjöngjang schicken will. Sie entscheiden sich für Constance, eine Bekannte Objats. Sie ist attraktiv, völlig ahnungslos, ganz und gar nicht neugierig und: „Amourös ist sie unterversorgt“. Mit anderen Worten: die ideale Besetzung.

Sie wird zunächst entführt, um sie gefügig zu machen für ihre große Aufgabe. Das klappt besser als geplant, denn sie findet ihre beiden vom Geheimdienst beauftragten Entführer dermaßen appetitlich – und die wiederum sie –, dass sie gar nicht mehr im Sinn hat, zu fliehen. Die gegenseitige Sympathie geht soweit, dass die Entführer sie ihrerseits vor ihren Auftraggebern verstecken, damit ihr nichts Ernsthaftes passiert. An einem ganz ungewöhnlichen Ort übrigens, nämlich ganz oben in einem Windrad. Was nun seinerseits wieder unvorhergesehene Folgen hat. Und so beginnt die ganze Sache aus dem Ruder zu laufen. Aber nicht genug damit. Constances Gatte, der ehemals erfolgreiche Musiker Louis Tausk, reagiert nicht auf die Lösegeldforderungen, auch nicht, als er per Post ein vermeintliches „Stückchen von seiner Gattin“ erhält. Er stellt sich tot. Unvorhergesehene Probleme also schon ganz am Anfang der großen Operation.

Es folgen etliche Verwicklungen, auch erotischer Art, die die Angelegenheit noch komplizierter und ziemlich unübersichtlich machen – auch für den Leser. Zudem spielen viele Figuren mehrere Rollen. Aber irgendwann, nach etwa zwei Dritteln des Buches, landet Constance mit ihren zwei Beschützern dann doch in Nordkorea und nimmt Kontakt auf mit ihrer Zielperson namens Gang Un Ok. Sie verführt ihn und tatsächlich flüchtet er mit ihr. Alles läuft also wie geplant, bis – aber mehr soll hier nicht verraten werden.

Am Ende jedenfalls ist sie wieder in Paris, geht spazieren wie zu Beginn der Geschichte und wird wieder von einem attraktiven Mann angesprochen, mit den gleichen Worten wie kurz vor ihrer Entführung.

Aber die Handlung ist sowieso nicht das, worum es geht in diesem Roman. Wer hier Logik, Wahrscheinlichkeit etc. erwartet, wird sich enttäuscht abwenden. Echenoz gibt sich damit keine besondere Mühe, er spielt mit der Gattung. Auch seine Figuren wirken nicht besonders real – der alte General, der sich langweilt und daher die Destabilierung Nordkoreas in Angriff nimmt, die ahnungslose, sexuell ausgehungerte Constance, die ihr Leben im Windrad oben genießt, ihr Gatte Tausk usw. – sie alle und die Nebenfiguren sowieso sind Schablonen, die kaum das Interesse des Lesers wecken. Wohl auch nicht wecken sollen.

Hauptfigur und interessanteste Figur ist nämlich der allwissende Erzähler selbst. Er führt ein permanentes Zwiegespräch mit dem Leser, er kommentiert, fragt, gibt zu bedenken, gibt sich ahnungslos und ist amüsant, ironisch, verspielt. Gleich nach der Entführung Constances spricht er mit dem Leser:

Und jetzt beugen wir uns mal über Constances Gatten, wenn es Ihnen recht ist. (S. 21)

Oder er kündigt etwas unwillig eine Schlafzimmer-Szene an:

Früher oder später musste es in dieser Geschichte ja etwas expliziten Sex geben: Hinten in diesem Schlafzimmer lag […] (S. 141)

Als er den Anwalt Hubert charakterisiert, den Halbbruder von Tausk, nimmt er gar Rücksicht auf den Leser:

Hubert Coste ist größer als Lou Tausk, schlanker als er, strahlender, gebräunter, muskulöser, der Komparative ist keine Ende, und da ersparen wir Ihnen noch seine sauschöne, wirklich irre attraktive Frau und die verflucht wohlgeratenen Kinder. (S. 40)

Manchmal übertreibt er’s mit seinem Humor aber auch ein wenig. Hyacinthe, ein Bekannter von Tausk, steht im China-Restaurant vor einem Aquarium und schaut sich die Fische an:

Sie erwidern den Blick nicht, weichen ihm aus oder fliehen ihn sogar, da sie ihn als ehemaligen Experten in der Kunst des Fischfangs erkannt haben – in seiner Jugend trotzte Hyacinthe auf hoher See den Wellen vor den Mangroven von Sassandra […]. (S. 234)

Und dann kommt der Erzähler auf all die Fische und ihre Besonderheiten zu sprechen, die Hyacinthe damals geangelt hat – eine Abschweifung ohne Bezug zur Handlung, aber mit ihrer Beschreibung von allergrößter Genauigkeit. Ähnlich, wenn Menügänge beim Essen in Nordkorea präzise aufgezählt werden. Das hat in seiner Detailversessenheit etwas vollkommen Absurdes, und es sind Passagen, die man beim Lesen auch gut überblättern kann.

Überhaupt ist man gelegentlich irritiert ob all der Markennamen, die der Erzähler erwähnt, seien es Autos, Lippenstifte, Zigaretten, Hundefutter, Parfüms oder Handys. Das hatte Echonoz ja auch schon in seinem Weltkriegsroman „14“ gemacht. (Meine Besprechung siehe hier.)

Der Leser jedenfalls merkt allzubald, dass es dem Erzähler mit seiner Geschichte nicht allzu ernst ist. Er spielt mit dem Material, mit den Figuren, der Handlung, mit den Klischees der Gattung und letztlich mit dem Leser. Das ist amüsant, oft jedenfalls, aber es hinterlässt auch ein schales Gefühl. Es ist ja wie im wahren Leben: durchgehende Ironie oder Distanz eines Gesprächspartners erzeugen häufig emotionale Leere. Hier nimmt man zudem an einem intellektuellen Spiel teil: Da spielt ein kluger Erzähler mit der Literatur und macht daraus neue. Während diese Distanz des Erzählers im früheren „14“ eine Funktion hatte, irritierend und provokant, aber durchaus passend zum Weltkriegsthema, wirkt sie hier lediglich nett und verspielt. Und vor allem: man merkt, dass die Erzählhaltung nichts mit dem Sujet zu tun hat, sondern einfach ein Charakteristikum des Autors ist.

Schade. Ich jedenfalls bin nach der Lektüre etwas enttäuscht. Supergut geschrieben, amüsant, ironisch, von großer Kunstfertigkeit – aber inhaltlich etwas leer, irgendwie steril, glatt, ohne Substanz.


Jean Echenoz: Unsere Frau in Pjöngjang. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Berlin: Hanser, 2017. Die französische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel „Envoyée spéciale“ bei Les Éditions de Minuit, Paris.


(1) Interview mit Jean Echenoz (ARD-Mediathek)

(2) Siehe auch die Bemerkungen des Übersetzers: Schmidt-Henkel über Echenoz

 

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