Herrndorf, Die Rosenbaum-Doktrin

Felix Mittermeier: Sternenhimmel (1)

Wolfgang Herrndorf: Die Rosenbaum-Doktrin (2007)
Ein absolutes Muss für Herrndorf-Fans! Herrndorf gibt hier ein Interview wieder, das er angeblich mit dem Kosmonauten Friedrich Jaschke kurz vor dessen Tod in einem Berliner Altersheim geführt hat. Jaschke wäre fast der erste Deutsche im Weltall gewesen. Es beginnt ganz ernsthaft und wird immer absurder – und immer witziger.

In dem Gespräch geht es zunächst darum, wie Jaschke zur Weltraumfahrt kam. Er spricht von seiner Kindheit und von seiner technikbegeisterten Familie – schon sein Onkel, Wilfried Bronnen, Raketentechniker von Fritz von Opel, habe im Garten Raketen gebaut.

Er erzählt dann vom Auswahlprogramm für Kosmonauten in Moskau:

Ganz wichtig aber auch, man musste Techniker sein, mit Lötkolben und Rohrzange umgehen können. An Bord der Saljut damals wurden ja eher Klempner gebraucht. […] Eine wichtige Sache war auch das Kopfrechnen. […] Man musste mit dem Rechenschieber umgehen können.

Damit habe man die Navigation gemacht, das sei sicherer gewesen, als sich auf die Maschinen zu verlassen.

Jaschkes Erklärungen werden zunehmend skurriler. Er selbst war nie im All und macht mysteriöse Andeutungen, warum er letztlich nicht zum Zuge kam.

Dann fragt Herrndorf ihn nach der „Rosenbaum-Doktrin“, benannt nach dem russischen Kybernetiker Leonid Rosenbaum. Sie regelt den Umgang mit unerklärlichen und übersinnlichen Dingen, die man als Kosmonaut im Weltall eventuell zu Gesicht bekommt:

Es gibt nichts Unerklärliches, konkret hieß das in der sowjetischen Fachsprache: Wenn da oben etwas Unerklärliches auftaucht, also was auch immer – Außerirdische – erschießen wir das mit der Bordkanone und tun so, als hätten wir nichts gesehen. (lacht) Das war die Rosenbaum-Doktrin.

Daran hätten sich alle gehalten, und im Grunde gelte diese Doktrin bis heute. Es habe ja damals viel Unerklärliches gegeben:

Da kamen Raketen einfach nicht zurück, da fielen Dinge vom Himmel, die man gar nicht raufgeschossen hatte […].

Er macht eine weitere mysteriöse Andeutung über Gagarin, der im All eine Waffe dabeigehabt habe. Zurück auf der Erde habe dann ein Schuss in seiner Makarow gefehlt.

Dann ruft die Pflegeschwester Jaschke zum Essen und das Interview bricht ab.

Herrndorf mischt hier auf wunderbare Weise Fakten und Fiktion. Der Interviewer heißt Herrndorf, aber den Kosmonauten Jaschke hat es nicht gegeben, den mit Raketen experimentierenden Onkel im Garten offensichtlich ebenfalls nicht, aber all die anderen Namen aus Forschung und Weltraumfahrt lassen sich leicht recherchieren. An manchen Stellen lässt sich aber trotzdem nicht so ohne Weiteres entscheiden, wo genau die Grenze verläuft.

Aber am schönsten ist natürlich die Sprache Jaschkes und sein durchgedrehter Charakter. Sehr empfehlenswert!

Ich könnte Ihnen Sachen erzählen, da würden Sie mich für verrückt halten.


Wolfgang Herrndorf: Die Rosenbaum-Doktrin: und andere Texte. Reinbek: Rowohlt, 2017. Erstveröffentlichung: Berlin: SuKuLTuR, 2007.


(1) Foto: Felix Mittermeier, pixabay.com

(2) Eine gekürzte Fassung des Textes gibt es auch online.

(3) Eine Leseprobe bei Rowohlt

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