Que Du Luu: Im Jahr des Affen (2016)
Das „Jahr des Affen“ steht für Veränderung, sagt Minis Vater, denn Affen sind immer in Bewegung. Und Veränderungen wird es in diesem schönen Roman viele geben für Mini und ihren Vater. Autorin ist die 1973 in Saigon geborene Que Du Luu.
Die 16-jährige Mini ist die Ich-Erzählerin des Buches. Sie ist – wie die Autorin – Vietnamesin chinesischer Abstammung und kam als kleines Kind nach Deutschland. So klein, dass sie sich weder an Vietnam noch an ihre Flucht erinnern kann.
Mini hat ein besonderes Gefühl für Sprache, immer wieder fallen ihr Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Chinesischen auf. Und sie ist eine Banane: außen gelb und innen weiß. Anders als ihr Vater, der durch und durch gelb ist und nur gebrochen Deutsch spricht. Sie weiß nicht, ob sie nun eigentlich Deutsche oder Chinesin ist. Und das ist nur eines ihrer Probleme. Eigentlich möchte sie nichts lieber sein als ein typischer Teenager. Mit ihren Freunden gelingt ihr das, aber dann muss sie plötzlich das Chinarestaurant ihres Vaters führen. Der hat unermüdlich geschuftet und trotzdem finanzielle Probleme, was ihm irgendwann einen Herzinfarkt beschert. Er muss ins Krankenhaus.
Mini steht nun vor einem Berg von Problemen, denn sie muss nicht nur das Restaurant führen, sie muss sich auch um ihren aus Australien angereisten Onkel Wu kümmern und sich mit dem widerspenstigen Personal herumschlagen. Der eine, Ling, hat keine Arbeitserlaubnis und der andere, Bao, keine Wohnung. Er haust heimlich im Keller des Restaurants. Ihn umgeben weitere Geheimnisse, die mit ihrer Flucht zu tun haben und auch Minis Vater in ein zweifelhaftes Licht rücken. Und frisch verliebt in einen Deutschen ist sie auch noch.
Der angereiste Onkel hält ihr vor, wie wenig chinesisch sie sich verhalte und wie schlecht sie ihre Sprache spreche, sie sei eben eine „Banane“. Und überhaupt:
‚Ich hab auf dem Weg wirklich keinen einzigen Chinesen gesehen. Wie kannst du überhaupt Freunde haben, wenn es hier keine anderen Chinesen gibt?‘
Mini bringt ihn dazu, über die bedrückende Vergangenheit zu reden, über die ihr Vater bisher immer geschwiegen hat. Aber Onkel Wu wendet ihr beim Reden jetzt lieber den Rücken zu, wie ihr auffällt. Luu beschreibt das so:
Millionen Menschen wollten lieber auf dem Meer sterben, als in Unfreiheit zu leben. Onkel Wu sagte auf einmal nichts mehr.
Ich hörte durch das gekippte Fenster Vögel zwitschern. Ein Kühlschrank sprang an, etwas brummte leise. Onkel Wu hatte den Wasserhahn nicht richtig zugedreht. Alle fünf Sekunden sammelte sich das Wasser zu einem Tropfen, der schwer wurde, tief nach unten fiel und laut platzend aufschlug.
Da passiert eine Menge zwischen den Zeilen, Emotionen werden nicht offen gezeigt, man verliert nicht gern sein Gesicht. Es geht um die Geschichte der Familie, um Krieg, Flucht und Schuld, um die Verbrechen der Vietcong, aber auch um Liebe, Egoismus, Erziehung und Vorurteile zwischen Deutschen und Chinesen. Und es geht schließlich um das Wichtigste im Leben: Wofür lebt man eigentlich und welche Ziele hat man.
Das Buch ist für ein Jugendbuch enorm vielschichtig, etliche ernste Themen werden angesprochen. Der Papa ist ohne Freunde und Verwandte in Deutschland, und es wird deutlich, dass er nur seiner Tochter zuliebe in Herford bleibt. Er will sie nicht aus ihrem Umfeld herausreißen. Von der Mutter ist kaum die Rede, denn die ist vor 15 Jahren verschwunden. Als sei das alles noch nicht genug, muss Mini dann auch noch an ihrem Vater zweifeln. Er soll andere Boatpeople bei der Flucht übervorteilt haben und dafür verantwortlich sein, dass andere nicht flüchten konnten.
Überhaupt vereint der Roman diverse Genres: ein wenig Krimi, Komödie, auch Tragödie, die erst spät offenbar wird, viel Bildungs- und Entwicklungsroman, Liebesroman. Es gibt keine vorgehaltenen Zeigefinger, keine Winke mit dem Zaunpfahl oder dergleichen, wie sie sonst bei Jugendliteratur gang und gäbe ist.
Ein wunderbares Buch also – mehr als nur ein Jugendbuch, als das es verkauft wird. Vom Verlag zudem liebevoll gestaltet, das Innencover zieren chinesische Drachen. Und schlägt man es auf, weiß man, was mit „Banane“ gemeint ist.
Danke an Eva von comparaison d’être für den Lektüretipp!
Que Du Luu: Im Jahr des Affen. Hamburg: Königskinder Verlag, 2016.
(1) Foto: Pixabay.com
(2) Eine weitere Besprechung bei Anna auf Buchstabenträumerei